Physik und Metaphysik Die explosiven Installationen,
Aktionen und Zeichnungen von Cai Guo-Qiang
99 Wölfe stürmen
auf eine gläserne Mauer zu. Die Raubtiere springen in die Luft, und
preschen unaufhaltsam voran, gerade so, als wollten sie mit dem Kopf durch
die Wand. Head On heißt Cai Guo-Qiangs dynamische Installation, die
seit dem 26. August 2006 im Deutsche Guggenheim zu sehen ist. Begleitet
wird sie von einer wandfüllenden Schießpulver-Zeichnung und der
Videoprojektion von Illusion II. Für diese spektakulären Aktion
ließ Cai mitten in Berlin ein ganzes Haus mit einem bunt glühenden
Feuerwerk explodieren. In ihrem Essay unterzieht Brigitte Werneburg
den chinesischen Kunststar einer kritischen Würdigung.
 Aufbau
der Installation "Head On", 2006, im Deutsche Guggenheim in Berlin Foto:
Hiro Ihara, Courtesy Cai Studio
Anfang Juli
stand plötzlich ein schmuckes Einfamilienhäuschen auf dem Freigelände am
Anhalter Bahnhof. Die Babelsberger
Filmstudios hatten es gebaut, und wie sich am 11. Juli 2006
herausstellte, diente das Haus tatsächlich als Requisit für einen Film. An
diesem Tag jagte es Cai Guo-Qiang
für seine Aktion Illusion II mit einem bunt schillernden
Feuerwerk spektakulär in die Luft. In seiner gerade eröffneten
Einzelausstellung Head
On im Deutsche
Guggenheim Berlin ist die Explosion nun auf einer wandfüllenden
Doppelprojektion zu sehen.
 Illusion
II: Explosion Project, Berlin 2006 Foto:
Hiro Ihara, Courtesy Cai Studio
Während der
chinesische Künstler, der seit 1995 in New York lebt und arbeitet, von dem
Konflikt sprach, den das Schauspiel bei seinem Publikum hervorrufe, das
"die Schönheit des Feuerwerks und zugleich Zerstörung" erlebte, zeigten
sich diese Zuschauer ganz entspannt bei Prosecco und Häppchen. Sie waren
nicht im Unrecht in ihrer amüsierten Neugier. Für sie als Europäer
verkörpert ein Feuerwerk noch immer den Geist des Barock. In dieser
Tradition stellt es die edelste Form dar, der Kunst der Verschwendung zu
huldigen. Jeder Knall und jede funkenstiebende bunte Figur bedeutet Geld,
an dem alles und jeder hängt, und das hier einfach verpulvert wird. Und
noch immer - heute ganz demokratisch - lieben wir am Feuerwerk die
repräsentative Verausgabung, die sämtliche Fragen nach Ertrag, Zweck und
Nutzen als absurd erledigt.
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Cai Guo-Qiang Berlin 2006, Foto
Mathias Schormann, ©Deutsche Guggenheim, Cai Guo-Qiang
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Die Schönheit des Feuerwerks rührt aus dem Genuss an der
Sache selbst, dem prachtvollen Feuerregen, dessen kunstvolle Choreografie
die profane Erscheinung von Gewalt und Zerstörung transzendiert. Diese
Auffassung entspringt europäischen Vorstellungen. Als das Schießpulver
Ende des 13. Jahrhunderts aus China nach Europa gelangte, nutzte man es
erst nach seinem kriegerischen Einsatz für die Feuerwerkskunst. Vor allem
das Barock gestaltete seine Feuerwerke als regelrechte
Theateraufführungen. Handwerker bauten komplette Architekturen nach, für
deren kunstvoll bemalte Prospekte Künstler sorgten, während Feuerwerker
unzählige Schwärmer, Raketen und Kanonenschläge in Stellung brachten.
Drachen stellten die Angreifer dar und glitten, von einer Schnur geführt,
zur Festung, um eine sorgsam geplante Kettenreaktionen auszulösen.
Ohrenbetäubende Kanonenschläge detonierten, Feuerräder zogen ihre Spuren
und Schwärmer flogen aus, um den Feind zu irritieren. Am Ende wurde die
Stellung des Feindes unter lautem Donner in die Luft gejagt - wie am
Anhalter Bahnhof, denn in Berlin uraufgeführt, steht Illusion II
unausweichlich in dieser Tradition.
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Illusion II: Explosion Project, Berlin 2006 Foto:
Hiro Ihara, Courtesy Cai Studio
Als sich der
1957 in Quanzhou
geborene Künstler 1981 entschloss, an der Theaterakademie
in Schanghai zu studieren, kam er mit der europäischen Theatertradition in
Kontakt, die sich auch der barocken Liebe zum Spektakel speist. Anders als
das der Kunstakademien war das Programm der Theaterakademie international
anschlussfähig. Es wurde eher konzeptuell argumentiert, erinnert sich Cai
Guo-Qiang. Neben der praktischen Ausbildung, vom ersten Vorschlag über
Budgetplanung, Produktion und schließlich der Aufführung, nennt Cai die
Diskussionen über Ausstattung, den Einsatz von Licht und vor allem die
Behandlung des Raums und der Zeit als prägend für seine künstlerische
Entwicklung.
 Illusion
II: Explosion Project, Berlin 2006 Foto:
Maria Morais
Als er sein Studium abschloss,
war Cai Guo-Qiang zunächst noch mit Ölmalerei befasst. Allerdings
arbeitete er auch schon mit jenem Material, das sein künstlerisches Werk
weiterhin bestimmen und an seine chinesischen Herkunft zurückbinden
sollte: Schießpulver. Cai setzte es als eine Art Zufallsgenerator ein, um
Formgebung und Farbverteilung in seinen Ölgemälden zu beeinflussen. Zu
diesem Zeitpunkt, 1986, erhielt er ein Stipendium nach Japan. Damit kam er
in ein Land, das über Jahrhunderte hinweg eine eigene, großartige
Tradition der Feuerwerkskunst entwickelt hatte. Während Schwarzpulver in
China ein Abfallprodukt alchemistischer Experimente bei der Suche nach
neuen Heilmitteln war, und daher auch "Feuermedizin" heißt, betont der
japanische Begriff hana-bi,
"Blumen aus Feuer", deutlich den ästhetischen Aspekt, was der westlichen
Sicht verwandt scheint.
 Exploding
House: Project for Deutsche Guggenheim Berlin, 2006, Collection
of the artist, © Cai Guo-Qiang
Die
Gunpowder-Drawings und Feuerwerkperformances, die Cai in Japan
entwickelte, waren in ihrer ortsspezifischen Ausrichtung zwar eher dem
Begriff der "Feuermedizin" verpflichtet. Doch aufgrund der großen
Wertschätzung der Tradition des hana-bi zündeten sie auch beim
japanischen Kunstpublikum. Dessen Interesse konnte schließlich auch die
Irritation wecken, dass Cais Feuerskunst dem gewohnten Bild der
Feuerblumen überhaupt nicht entsprach. Schon hier war Cai Guo-Qiang also
mit einem grundlegenden Gedanken seiner künstlerischen Arbeit erfolgreich.
Er zielt darauf ab, sich der Kraft des Gegenübers zu bedienen, wie es die
asiatische Kampfsportkunst lehrt. Immer wieder kommt Cai, der als
Jugendlicher in Martial
Arts Filmen mitwirkte, darauf zurück und spricht darüber, wie er sich
Energie aus der Natur für seine Arbeit borgt.
 Cai
Guo-Qiang, Transient Rainbow, New York, 2002, ©Deutsche
Guggenheim, © Cai Guo-Qiang
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