Victor Man, Zephir, 2014. © courtesy the artist and Deutsche Bank. Photo: Mathias Schormann.
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Victor Man - Zephir, Installation view, Deutsche Bank KunstHalle, Berlin, 2014. © Victor Man and Deutsche Bank. Courtesy the artist and Deutsche Bank. Photo: Mathias Schormann.
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Victor Man, Untitled, 2013. © courtesy the artist. Photo: Mathias Schormann.
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Victor Man - Zephir, Installation view, Deutsche Bank KunstHalle, Berlin, 2014. © Victor Man and Deutsche Bank. Courtesy the artist and Deutsche Bank. Photo: Mathias Schormann.
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Victor Man - Zephir, Installation view, Deutsche Bank KunstHalle, Berlin, 2014. © Victor Man and Deutsche Bank. Courtesy the artist and Deutsche Bank. Photo: Mathias Schormann.
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Es scheint als beträte man eine Kapelle: Den Auftakt zu Victor Mans Ausstellung in der Deutsche Bank KunstHalle
bildet ein Bleiglasfenster, durch das blaugrünes Licht in den
dämmerigen Ausstellungsraum fällt. Es könnte einen dunklen Engel zeigen
– oder Zephir, den antiken Windgott, dem auch die Schau ihren Titel verdankt. Schon auf Botticellis berühmtem Gemälde Primavera
(Frühling) aus dem 15. Jahrhundert ist der Gott der milden Westwinde
als unheimliche, in tief blaue Tücher gehüllte Figur zu sehen, die mit
geblähten Backen nach der Nymphe Chloris
greift. Auf Mans Fenster erfährt diese mythische Figur jedoch eine
radikale Verwandlung. Er lässt die Gestalt in eine dynamische
Komposition aus organischen und geometrischen Formen zersplittern.
Schwingen und Knochen sind zu erkennen, Stern und Pentagramm, Strahlen
fallen ins Bild. Inspiriert ist die Arbeit von den über
Land ziehenden Glasern und Scherenschleifern, die Victor Man als
Kind in Siebenbürgen noch selbst erlebte. So ist dann auch eine ihrer
typischen Kiepen, in denen sie ihr Handwerkszeug transportierten, auf
dem Bild zu sehen.
Die Verbindung von Moderne und Malereigeschichte erscheint prägend für das Werk des rumänischen Malers, der nun als „Künstler des Jahres“ der Deutschen Bank
die KunstHalle mit seiner ersten großen Museumsausstellung in
Deutschland bespielt. 1974 in Cluj geboren, zählt Man spätestens seit
seiner Präsentation 2007 im rumänischen Pavillon auf der Biennale in Venedig
zu den ganz großen Hoffnungen der osteuropäischen Gegenwartskunst.
Aufgrund der zahlreichen Skulpturen, Assemblagen und Installationen,
die er gemeinsam mit seinen Gemälden zeigte, galt er lange als Künstler, der den Malereibegriff erweitert. In der KunstHalle
hat er jedoch einen beinahe sakralen Raum geschaffen, in dem die
Tafelmalerei gefeiert wird.
Das sparsame Licht und die
gedämpften Atmosphäre der mit mit braunem Leinen bespannten Räume
erinnern an die Säle italienischer Paläste und Museen, in denen die
alte Kunstschätze vom gleißenden Tageslicht geschützt werden.
Tatsächlich wirken Mans Bilder in ihrer virtuosen Malweise
altmeisterlich, fast aus der Zeit gefallen, als wären sie Nocturnen
oder im Laufe von Jahrhunderten nachgedunkelt. Im Gegensatz zu einem
Großteil der Malerei der letzten Dekaden, die auf Repräsentation und
Überwältigung durch Großformate setzte, sind sie häufig kleinformatig,
zurückhaltend, fast intim. Sie sind fotografisch kaum zu reproduzieren
und verlangen die Nähe des Betrachters. Nur wer dicht an sie
herantritt, kann ihre formale und inhaltliche Vielschichtigkeit ganz
erfassen.
Doch auf diesem Format des Tafelbildes kann, und das
macht Man unmissverständlich klar, alles Existenzielle verhandelt
werden. Tatsächlich setzt er seine Bilder in der KunstHalle wie Ikonen
in Szene. Sie werden so angestrahlt, dass sie von einer Lichtaura
umgeben sind. Diese Inszenierung fetischisiert Gemälde, die selbst die
unterschiedlichsten Fetische thematisieren – seien sie nun sexueller,
magischer oder künstlerischer Natur. Seine Motive, in Latexkostüme
gezwängte Wesen, totemistische Objekte oder maskierte Figuren, lassen oftmals sogar
an geheimnisvolle Rituale denken.
Dabei sind die Grenzen fließend. Untitled (Shaman II)
(2008) nennt Man ein Bild, auf dem eine vom Betrachter abgewendete
Figur in einem Latexrock aus dem Dunkel leuchtet. Sie könnte
gleichermaßen die Rolle einer Sklavin oder Hohepriesterin einnehmen.
Das auf Fell montierte Bild einer in ein silbriges Gummikleid
eingeschweißten Maskengestalt (Untitled, 2006) erinnert an mexikanische Wrestler oder den britischen Performancekünstler Leigh Bowery. Ebenso wie bei dem Pferdewesen auf Mans bekanntem Bild Grand Practice (2009)
bleiben der Ursprung und die wahre Natur dieser geisterhaften Figuren
im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln. Fast ist es, als offenbare uns
Mans Malerei nur noch die geisterhafte Hülle der Erscheinungen, die
kaum wahrnehmbaren Spuren von Geschichten und ursprünglichen
Bedeutungen. Obwohl sich in seinem Werk unzählige Referenzen verbergen,
lässt es der Künstler bewusst im Dunklen, woher das Material kommt, auf
dem seine Gemälde basieren – was der ursprüngliche „Inhalt“ oder
Kontext war. Vielmehr geht es ihm um das Erschaffen neuer
Bedeutungsebenen und Zusammenhänge.
Zephir
entführt den Betrachter in einen malerischen Kosmos, in dem sich im
Schutz der Finsternis rätselhafte Metamorphosen vollziehen. Belebtes
und Unbelebtes, Menschliches und Tierisches, Männliches und Weibliches
sind in Mans Werk im ständigen Austausch und wie bei einem Prozess in
der Verschmelzung begriffen. Nicht nur, dass Man in seinen Gemälden
biblische Geschichten oder Heroen der Spätgotik und Renaissance zitiert und mit der erotischen Kühle der Neuen Sachlichkeit oder des Surrealismus verbindet. Er lässt auch – etwa in Untitled (after Sassetta, St. Anthony the Hermit Tortured by the Devils)
(2009-2010) – Dämonen und Heilige auferstehen. Sein Werk entwickelt
dabei so etwas wie ein alchemistisches Gegenmodell zur aktuellen
Kunstszene – und zu konventionellen Vorstellungen von Vernunft
und Aufklärung. So erscheinen die von der biblischen Geschichte von Judith und Holofernes inspirierten, weiblichen Gestalten seiner jüngeren Serie The Chandler
(2013) geradezu demonstrativ kopflos – ganz so, als wolle sie der
Künstler von der Steuerung durch die Rationalität befreien und mit
ihrem Körper und dem Unterbewussten in Verbindung setzen. Zephir
ist dabei alles andere als rückwärtsgewandt. Gerade in den
außergewöhnlichen Verbindungen zwischen Altertum und Moderne, die er in
seinen Werken sowohl formal als auch thematisch schafft, eröffnet sich
eine zeitgemäße und reflexive künstlerische Erzählweise. Literatur und
Kunstgeschichte, kollektive Erinnerungen und persönliche Erfahrungen
verknüpft der Künstler zu einer nicht-linearen Erzählung, in der die
Grenzen zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Fiktion, Imagination und
Realität aufgehoben sind. Mans Bilder lenken dabei den Blick nicht
nostalgisch in die Vergangenheit, sondern entwickeln eine eigene, sehr
persönliche Ikonografie, in der sich die heutige Conditio Humana
widerspiegelt.
Victor Man – Zephir „Artist of the Year“ 2014 21.3. – 22.6.2014 Deutsche Bank KunstHalle, Berlin
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